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Chatwoot: Wie gut funktioniert das kostenlose Open Source Ticketsystem in der Praxis?

Chatwoot ist ein kostenloses Open Source Ticket System. Erfahre, was das Tool kann und wie gut es in der Praxis funktioniert. Ein Erfahrungsbericht.
Chatwoot Open Source Ticket System

Wer in seinem Online-Business regelmäßig Kundenkontakt hat, der kommt irgendwann nicht mehr um ein Ticketsystem herum.

Bekannte Namen im Markt sind Zendesk, Zoho, Replyco, Gorgias, Helpscout, Freshdesk und mehr. Sie alle haben ihre Daseinsberechtigung. Und sie alle kosten monatlich Geld.

Wer jedoch nicht für eine schlüsselfertige SaaS Lösung bezahlen möchte, der könnte auch eine selbst gehostete Open Source Lösung wie Chatwoot nutzen.

Für diesen Artikel habe ich das kostenlose Ticket-System Chatwoot auf meinem Server installiert und getestet, wie gut die Open Source Software im Parallelbetrieb zu Zendesk und seit neustem Replyco funktioniert.

Replyco: Erfahrungen mit dem Ticketsystem von Billbee
Reply ist ein Ticketsystem, was 2023 vom E-Commerce Multi-Channel-Tool Billbee übernommen wurde. Die Kombination aus beiden ergibt Sinn! Ein Erfahrungsbericht.

Spoiler: Chatwoot ist super! Ich habe mich für meinen Case dennoch gegen die weitere Nutzung von Chatwoot entschieden. Warum, erfährst du in diesem Artikel.

Wie die meisten Open Source Softwarelösungen, gibt auch übrigens auch Chatwoot neben der kostenlosen Open Source Variante auch als SaaS-Version. Ab 19 USD / Monat stehen hier bereits die wichtigsten Funktionen für einen Nutzer zur Verfügung.

Anforderungen an (m)ein Ticket System

Um das Ticket System besser bewerten zu können, ist zunächst wichtig zu überlegen, was es überhaupt können muss. Für meinen Fall habe ich das Tool aus drei Perspektiven beleuchtet:

  • als E-Commerce Brand
  • als Blogger
  • als Outreach Feedback Kanal

Ein Ticketsystem wird immer dann erforderlich, wenn die Sternchen-Kennzeichnung im Mailprogramme nicht mehr ausreicht, und die E-Mails drohen unterzugehen. Ein Ticket-System muss daher mit folgenden Funktionen helfen können:

  • Zentrale Inbox
  • Liste aller Nachrichten (Tickets) mit Filter nach Status (Offen, wartend, geschlossen)
  • Archivierung von Tickets (um sie ggf. später wiederzufinden)
  • Suche
  • Multi-Kanal-Fähigkeit (E-Mail, Instagram, Messenger, ggf. WhatsApp)
  • Multi-User-Fähigkeit, damit auch andere Menschen im Team mitarbeiten können
  • Idealerweise Zugriff auf Bestelldaten (im Fall von E-Commerce)
  • Help Center / FAQ Artikel

Chatwoot Funktionen im Überblick

Chatwoot ist übersichtlich gestaltet. Auf der linken Seite finde ich alle meine Inboxes. Wähle ich ganz oben All Conversations aus, werden alle eingehenden Tickets in der zweiten Spalte angezeigt. Die E-Mail selbst öffnet sich nach einem Klick in Spalte drei. Ganz rechts, in der vierten Spalte, erscheinen Kontakt-Informationen und Action-Items, also Dinge, die ich mit dem Ticket machen kann.

Chatwoot Open Source Ticketsystem
Chatwoot Arbeitsoberläche

Ziel eines Ticketsystems ist es, diese möglichst schnell und zielgerichtet zu beantworten. Der grüne Resolve Button ist nicht zu übersehen. Falls noch auf eine Antwort vom Kunden gewartet wird, kann der Status Mark as Pending verwendet werden. Falls das Ticket erst einmal pausiert und später wieder geöffnet werden soll, bietet sich die Funktion Snooze an.

Chatwoot Snooze Funktion
Chatwoot Snooze Funktio

Soweit, so gut. Wie aber geht es los? Woher kommen die Nachrichten überhaupt?

E-Mail, WhatsApp & Instagram

Es gibt mehrere Wege, wie eine Anfrage in Chatwoot ankommen kann:

  1. Weiterleitung an eine interne E-Mail-Adresse mit eigenem E-Mail Server
  2. Nutzung eines IMAP Kontos (z. B. Gmail)
  3. Nutzung von Social Media Integrationen

Eigener E-Mail Server

Für den ersten Schritt ist es in der Open Source Variante nötig, selbst den Mailserver mitzubringen und diesen in der Konfiguration zu hinterlegen.

Ich selbst nutze hierfür Mailgun*, das ich besonders günstig nutzen kann. Alternativen wären z. B. Mandrill, Postmark oder Sendgrid.

Mailgun ohne Grundgebühr für 1 USD / 1000 E-Mails nutzen
Mailgun hat 2022 die Preise angezogen. Auf den ersten Blick kostet der günstigste Tarif nun 35 USD / Monat. So kannst du weiterhin auf den Flex Tarif ohne Grundgebühr downgraden.

In Mailgun habe ich dafür zunächst ein Postfach konfiguriert, an das auch E-Mails verschickt werden können. Zusätzlich habe ich diverse Anti-Spam Maßnahmen ergriffen und entsprechende DNS Einträge für SPF, DKIM & DMARC bei meinem Nameserver-Provider (Cloudflare in meinem Fall) hinterlegt. Eine Anleitung für die Konfiguration findest du auch hier.

Wenn alle funktioniert und eingerichtet ist, erhalte ich eine E-Mail-Adresse wie 00b485930d24aa775f19bd@help.lsww.de.

Eingehende E-Mails könnten auf diesem Weg einfach dort hin weitergeleitet werden, und landen entsprechend in der Chatwoot Inbox.

Externes Postfach per IMAP nutzen

Wem die Einrichtung eines eigenen E-Mail-Servers zu kompliziert ist, der kann alternativ einfach einen Gmail Account (oder ein anderes Postfach) einrichten und in Chatwoot die IMAP Daten hinterlegen. In dem Fall bleibt die E-Mail im externen Postfach, wird aber in Chatwoot zur Darstellung synchronisiert.

💡
Hinweis: Wer mit seiner Domain nicht in Gefahr laufen möchte, ggf. auf Spam Listen zu landen, der sollte nicht zu viele E-Mails auf einmal verschicken. Meine Empfehlung ist, bei mehr als ca. 30 E-Mails pro Tag auf einen Massen-Sender zu setzen (wie Mailgun). Darunter tut es auch ein Gmail Postfach.

Social Media und SMS Integrationen

Chatwoot bietet eine Integration zu Facebook (Messenger), WhatsApp, Telegramm und Line an. Um z. B. einen WhatsApp Kanal anbieten zu können, benötigst du zunächst eine Nummer in einem API-fähigen Dienst wie WhatsApp Cloud, Twilio oder 360Dialog, um die Nummer darüber darüber in Chatwoot einzubinden.

WhatsApp Integration bei Chatwoot
WhatsApp Integration bei Chatwoot

Twilio ist auch der Anbieter, über den du eine SMS Kommunikation über Chatwoot ermöglichen könntest, und zwar in beide Richtungen. Für die Nutzung von Telegram wird lediglich der Bot-Token benötigen. Ob sich das rein finanziell beim Twilio SMS Pricing lohnt, müsstest du allerdings selbst bewerten.

Chat

Das Chatfenster bietet die einfachste Möglichkeit, um Tickets zu empfangen. Wer übrigens nur den Chat anbieten möchte, könnte das sogar in der SaaS-Version im kostenlosen Tarif bereits.

Die Konfiguration des Chatfensters lässt sich einfach über die Chatwoot Oberfläche konfigurieren. Ob Farben, Willkommens-Text oder die Positionierung auf der Website, die Einstellmöglichkeiten sind recht flexibel.

Sobald es fertig ist, wird das Fenster über einen Script im <head> auf der eigenen Website eingebunden.

Mittlerweile ist auch möglich, Help Center Artikel direkt im Chatfenster anzuzeigen und so möglicherweise Fragen zu beantworten, bevor ein Ticket entsteht.

API

Wem all die Integrationen nicht ausreichen, der kann Tickets auch per API Schnittstelle an das Ticket System übergeben. Das in Kombination mit IPaas Tools wie make.com* schaffen unendliche Flexibilität.

Helpcenter

Wer nicht nur E-Mails verwalten, sondern auch Wissensartikel veröffentlichen möchte, der kann das über das integrierte Chatwoot Helpcenter erledigen.

Direkt in Chatwoot lassen sich Hilfeartikel erstellen und über Tags oder Kategorien organisieren. Damit die Artikel auch bei Google gefunden werden, können SEO Metabeschreibung und -titel hinterlegt werden. Wie das ganze in der Praxis funktioniert, kannst du bei Chatwoot selbst gerne einmal anschauen.

Chatwoot Helpcenter Artikel formatieren
Chatwoot Helpcenter Artikel formulieren

Bots, AI und Automations

Chatwoot muss sich auch als Open Source Ticket System nicht hinter seinem SaaS Wettbewerb verstecken, was innovative Funktionen angeht. Ein Blick in den Changelog zeigt, dass auch hier regelmäßig an neuen Funktionen gearbeitet wird.

ChatGPT / Open AI Integration

Erwähnenswert ist z.B. die OpenAI Integration, mit der Antworten auf eingehende Tickets von einer KI generiert werden können.

Dafür wird zunächst ein API Account von OpenAI benötigt. Den API Key hinterlegst du einfach in den Chatwoot Settings und lässt danach beim Beantworten der Tickets wahlweise die KI eine Antwort (vor)formulieren.

Wie gut das funktioniert, muss jeder am besten selbst mal bewerten. Nach meinem Gefühl ist das einer der Anwendungsfälle, die auf dem Papier aufregend klingen, in der Praxis aber unnötig sind. So ähnlich hatte ich das bereits bei der Integration von Canva in ChatGPT erlebt.

Die OpenAI API ist in jedem Fall erschwinglich und die Nutzung in Chatwoot recht einfach möglich.

Nach einem Klick auf die Generate with AI -Button schlägt das System dann eine Antwort vor:

Eine von OpenAI vorgeschlagene Antwort in Chatwoot
Eine von OpenAI vorgeschlagene Antwort in Chatwoot
💡
Hinweis: Für den Test habe ich die Oberfläche von Chatwoot auf Deutsch umgestellt. An vielen Stellen passt das gut, im Detail fühlt es sich aber bisher nicht ganz natürlich an. Ich selbst bevorzuge die englische Oberfläche.

Automations

Neben der KI Integration mit OpenAI bietet Chatwoot auch die Möglichkeit, Bots und Automatisierungen zu nutzen. Automatisierungen sind Regeln, die automatisch auf bestimmte Trigger regieren.

Beispiel: Wenn der Besucher von einer bestimmten Referrer URL (z.B. von einem Partner) kommt, dann weise die Konversation einem bestimmten Nutzer zu.

Automatisierungen in Chatwoot erstellen
Automatisierungen in Chatwoot erstellen

Insgesamt sind die Automations allerdings lediglich auf nur ein paar Trigger und Aktionen begrenzt. Mir persönlich fehlt hier definitiv eine automatische Archivierungsfunktion.

Mögliche Aktionen im Rahmen der Chatwoot Automations
Mögliche Aktionen im Rahmen der Chatwoot Automations

Praktisch sind auch die Vorlagen und Makros, mit denen bestimmte Handgriffe im Support-Alltag einfach schneller erledigt werden können.

Bots

Bots sind bei Chatwoot zwei Dinge:

  1. Aktives Ansprechen per Chat auf der Website
  2. Kommunikation im Dialog

Ersteres wird über Kampagnen gesteuert. Hier hinterlege ich, welche Nachricht per Chatfenster auf welcher URL und wann einem Nutzer angezeigt werden soll.

Bot Kampagnen erstellen in Chatwoot
Bot Kampagnen erstellen in Chatwoot

Reagiert ein Nutzer, entsteht einfach eine Chat-Nachricht, die in der Inbox landet.

Wer eine echte Kommunikation von einem Bot erledigen lassen will, der müsste hierfür auf einen weiteren kostenpflichtigen Dritt-Dienst zurückgreifen, der per API eingebunden werden kann: DialogFlow von Google.

Diese KI Technologie ermöglicht es, einen echten Chat Dialog mit einem Nutzer zu von einer KI führen zu lassen, ohne, dass menschliches Eingreifen erforderlich ist.

Wie gut oder schlecht das funktioniert, habe ich selbst bisher nicht getestet. In jedem Fall wäre es aber auch eine Möglichkeit, die mit Chatwoot umsetzbar ist.

Vorteile, Nachteile und mein Fazit zu Chatwoot

Chatwoot ist ein sehr umfangreiches Open Source Ticketsystem, dass an vielen Stellen überzeugt. Besonders die Integrationen zu OpenAI, DialogFlow und den gängigen Kanälen wie WhatsApp und sogar SMS sind ziemlich cool.

Die Installation von Chatwoot dürfte für einen Experten recht überschaubar sein. Der Betrieb eines passenden Servers kostet rund 5 EUR pro Monat. Das Setup von z.B. eines Mailgun Accounts oder eine OpenAI API Kontos kommen noch dazu.

Ich selbst habe mir von Gerold Penz helfen lassen, der für mich schon meine Ghost Installation übernommen hat. Kontaktiere ihn am besten einfach über diese Seite*. Gehostet habe ich meine Chatwoot Installation in Deutschland bei Hetzner*.

Schwächen von Chatwoot

Aus meiner Sicht gibt es auch ein paar wenige Schwächen, die mir bei der Nutzung von Chatwoot aufgefallen sind.

  1. In der Open Source Variante verliert das System häufig die Verbindung zum Server. Statt einer sich selbst aktualisierenden Benutzeroberfläche muss ich immer zuerst die Seite neu laden, um zu sehen, ob es wirklich ein neues Ticket gibt. Einen proaktiven Hinweis zu neuen Nachrichten gibt es nicht.
  2. Langsame Synchronisation per IMAP. Nur etwa alle 10 Minuten werden IMAP Konten synchronisiert. Wer sich also selbst eine Nachricht schickt, um das System zu testen, müssten ggf. etwas Zeit mitbringen.
  3. HTML Darstellungen sind nicht gut. Viele E-Mails kommen in einer HTML Formatierung an. Leider ist Chatwoot hier nicht besonders gut darin, diese darzustellen, weil immer nur 1/4 der Bildschirmgröße dafür bereitsteht. Noch schlimmer empfinde ich das in der mobilen App. Wer mehr als reine Text-Nachrichten erwartet, wird hiervon schnell genervt sein.

Update: Letzter Punkt scheint bereits bekannt und "in Arbeit" zu sein. Der CEO von Chatwoot hatte mir auf X folgendes geschrieben:

Würde ich Chatwoot empfehlen?

Ja, absolut. Wer sich nicht von dem technischen Setup scheut, der bekommt ein gutes Open Source Ticket System, mit dem die Datenhoheit in der eigenen Hand bleibt. Wer viel von unterwegs arbeiten will, für den gibt es sogar eine mobile App.

Einschränkungen oder Nachteile sehe ich aber vor allem bei zwei Anwendungsfällen:

  1. E-Commerce: Wer sich wünscht, Bestelldaten direkt im Ticket zu sehen, der ist mit Lösungen wie Zendesk, Gorgias (für Shopify) oder Replyco (für Billbee) besser bedient. Die Tools kosten zwar Geld, die Verfügbarkeit von Bestell- und Versanddaten direkt im Ticket, ist aber ein echter Zeitsparer in der Praxis. Ich selbst nutze mittlerweile Replyco, da Billbee das ERP System meiner Wahl ist, in das Bestellungen aus unterschiedlichen Shops und Marktplätzen zusammenlaufen. So spare ich mir die Anbindung an unterschiedliche Shops, sondern greife alle Daten aus einer Quelle ab.
  2. Kein Ersatz als allgemeine Inbox: Aufgrund der nicht so idealen Darstellung von HTML E-Mails wird die Arbeit schnell unattraktiv. Ich habe es selbst erlebt und bin irgendwann wegen der UX doch wieder zum Gmail Interface zurückgekehrt.

Wer Lust auf Open Source hat, aber in Chatwoot noch nicht die 100% passende Lösung gefunden hat, der könnte noch einen Blick auf die zwei Open Source Ticket System Alternativen Zammad und Freescout werfen.

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